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Samstag, 28. Juli 2012

Verhindert die Abschiebung von Ilhamî Han in den Folterstaat Türkei!


Gerade die Antiterrorgesetze der Türkei, wegen derer Ilhami Han mit großer Wahrscheinlichkeit in der Türkei erneut angeklagt werden würde, gehören zu jenen Kernfragen der Menschenrechte, die die Europäische Kommission von jeher als eine der Haupthindernisgründe für den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union angesehen hat.Foto:ROZ/Rûdaw

Der Fall Ilhami Han
Sein Fall ist wahrscheinlich nicht der erste Fall, den das KVR München zum Präzedenzfall zu machen versucht. Denn nach den geltenden Abschiebeverboten, darf ein Flüchtling, dem im Verfolgerstaat eine menschenrechtswidrige Behandlung droht, nicht aus der Bundesrepublik und anderen europäischen Ländern ausgewiesen werden.
Protest Kundgebung vor dem bayerischen Innenministerium am Odeonsplatz/München. Foto:ROZ/Rûdaw
J.J./München - Im Mai dieses Jahres wurde eine Klage von Ilhami Han, der 2005 als Flüchtling nach Deutschland kam, vom Verwaltungsgericht München negativ entschieden. Nun kämpft sein Anwalt für die Zulassung eines Berufungsverfahrens. Denn Ilhami Han soll nach dem Willen des KVR und des Bundesamtes und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aus der BRD ausgewiesen werden.

Ilhami Han hatte sich 1997 als Minderjähriger der PKK in Kurdistan angeschlossen und war dort zuletzt bis zu seiner Flucht in die Bundesrepublik Lehrer in einem südkurdischen Flüchtlingscamp, wo er in der Kinderhilfe und als Lehrer tätig war. Seitdem er 1998 unter einer Schneelawine begraben worden war, leidet er an einer Epilepsie und posttraumatischen Störungen, die auch auf seine Kindheit in Varto zurückzuführen sind, wo er täglicher Zeuge von Kriegshandlungen, Erniedrigungen und Folter durch das türkische Militär geworden war. Als sich sein Gesundheitszustand so verschlechterte, dass er dringend weiter behandelt werden mussten, flüchtete er nach Deutschland, wo er weiterhin politisch aktiv war.

Sein Fall ist wahrscheinlich nicht der erste Fall, den das KVR München zum Präzedenzfall zu machen versucht. Denn nach den geltenden Abschiebeverboten, darf ein Flüchtling, dem im Verfolgerstaat eine menschenrechtswidrige Behandlung droht, nicht aus der Bundesrepublik und anderen europäischen Ländern ausgewiesen werden. Dies ist jedoch bei Ilhami Han der Fall.
Sollte er in die Türkei abgeschoben werden, droht ihm dort nicht nur eine drakonische Strafe, sondern auch Folter und andere menschenrechtswidrige Behandlung. Denn trotz anderslautender Behauptungen wird das, was hier als Folter bezeichnet wird, in der TR immer noch angewandt. Offiziell ist Folter in der Türkei nun zwar untersagt, die Fälle, in denen menschenrechtswidrige Behandlungen und andere offizielle Rechtsverstöße durch die Sicherheitsbehörden praktiziert werden, jedoch so gut wie gar nicht geahndet.

Seit einigen Jahren hat die Türkei einige Gesetze geändert, aber immer noch gibt es die sogenannten Antiterrorgesetze, die erst noch 2006 verschärft worden waren. Diese vage und weit ausgelegten Gesetze führen zu unfairen Gerichtsverhandlungen und dienen außerdem zu einer extensiven Bestrafungsmaschinerie für unliebsame Meinungen und politischer Betätigung in der Türkei . Noch 2012 wurden Tausende nach diesen Strafgesetzen angeklagt und verurteilt. Dafür reicht es, z.B. an einer Demonstration teilgenommen zu haben, eine Meinung geäußert oder noch absurder, ein Buch verfasst zu haben, das nicht einmal veröffentlicht wurde. Eine solche Strafe, die oft im Zusammenhang mit der Teilnahme an einer Demonstration in der Regel pauschal wegen der Unterstützung für eine terroristische Vereinigung ausgesprochen wird, kann 10-15 Jahre betragen, während der Vorwurf der Mitgliedschaft in der PKK oder auch anderen Organisationen bis zu einer mehrmals lebenslänglichen Strafe führen kann. Zur Zeit befinden sich ca. 6.ooo Kurden,
unter ihnen Bürgermeister, Stadträte, etc. ohne jegliches Verfahren in Untersuchungshaft.
Der Vorwurf: Propaganda für eine illegale Organisation.

Dass gerade Ilhami Han bei seiner Rückkehr von den Strafgesetzen der Türkei verschont
bleiben solle, wobei ein deutsches Gericht es als erwiesen ansieht, dass er ein PKK-Mitglied
in exponierter Stellung sei, ist ausgeschlossen, ja absurd.

Doch trotzdem beruft sich das Urteil des Münchner Verwaltungsgerichts in seinem Fall
pauschal auf den Lagebericht des Auswärtigen Amtes von 2011, nach dem in den letzten
Jahren keine Fälle bekannt geworden seien, in denen ausgewiesene Asylbewerber auch als
exponierte Mitglieder der PKK verfolgt worden seien.
Der Lagebericht, mit dem die mündliche Verhandlung in dem Fall ausgeblendet wird und
damit nicht auf den Kern des Falles und den Sachvortrag der Rechtsvertreter von Ilhami Han
eingegangen wurde, ist aber nicht der einzige Mangel in diesem Urteil. Auch die Tatsache,
dass sich die Urteilsbegründung von dem mündlichen Verfahren abhebt, sich in die eigenen
Widersprüche der Argumentation des Gerichts verheddert und die Einhaltung der Fristen,
in dem sein Flüchtlingsstatus von Ilhami Han hätte widerrufen werden können, werden nun
in dem Berufungsantrag angefochten.

Die Lageberichte des Auswärtigen Amtes zur Türkei sind noch nie unumstritten gewesen und
trotzdem sah das Gericht in seinem Urteil “ derzeit keinen Anlass, hieran allgemeine
Zweifel zu erheben.“
Diese Schlussfolgerung klingt etwas zu glatt und einfach, wenn man die dazu im Gegensatz
stehenden Berichte der allgemein anerkannten Menschenrechtsorganisationen noch von
2010-2012 liest. Vor allem aber ist der lapidare Satz, den das Urteil des
Verwaltungsgerichts aufführt, um eine Verfolgungsgefahr für Ilhami Han auszuschließen,
viel zu pauschal, um Geltung für einen konkreten Fall beanspruchen zu können.
Fakt ist auch, dass es eine solche Ausweisung eines PKK-Mitgliedes, dem in der Türkei
Jahrzehnte lange Haftstrafen drohen, in den letzten Jahren nach allgemeiner Kenntnis nicht
getätigt wurden und daher den Verfassern der Lageberichte gar keine empirischen Werte in
dieser Hinsicht vorliegen können. Zuletzt war ein bekanntes Mitglied der PKK, Cevat Soysal,
der aus Moldawien verschleppt worden, 18 Jahr und 9 MonateGefängnisstrafe erhielt und
im Gefängnis schwerer Folter ausgesetzt war. Fakt ist ebenso, dass bei PKK- Mitgliedern,
noch dazu solchen in exponierter Stellung, in der Türkei lebenslängliche und mehrfach
lebenslängliche Haftstrafen angewandt werden.

Wenn man bedenkt, was Ilhami Han hier vom Gericht vorgeworfen wird: die Einsammlung
von Spendengeldern, das Verteilen von Zeitungen, die Teilnahme an einer
Kurdistankonferenz und die Teilnahme an zwei Demonstrationen gegen den Einmarsch der
Türkei in den Nordirak und die Schließung von Roj-TV, dann ist es das mindeste,
einzugestehen, dass ein solch exorbitantes Strafmaß nicht gerade den universellen
menschenrechtlichen Standards, die Europa von der Türkei fordert, entspricht.

Allein schon, dass sich der in der Urteilsbegründung angeführte Satz des Lageberichts auf
einen kurzen Zeitraum bezieht, ist nicht sehr aussagekräftig, denn viele Verfahren und
Ermittlungen ziehen sich in der Türkei über viele Jahre hin. Oftmals erfolgt eine Anklage für
weit zurückliegende Vorwürfe erst viel später. Nach dem 4. Buch des Öffentlichen Rechts gibt es in der Türkei keine Verjährungsfrist für Strafen, die im Ausland begangen wurden und in der Türkei mit mehr als 10 Jahren Gefängnis geahndet werden. Dies kann schon bei einer als Unterstützung angesehenen Handlung für die PKK der Fall sein.

Frühere Ermittlungs – und Strafverfahren (davon eines von 2011, während er sich in der BRD aufhielt) gegen Ilhami Han wurden in der Türkei zwar in der Vergangenheit im Gegensatz zu denen, die gegen seine Familie anhängen, vorerst wegen Mangel an Beweisen eingestellt, spätestens jedoch nach den hiesigen Gerichtsverhandlungen, demzufolge das Gericht es als erwiesen ansah, dass er sich in exponierter Stellung in einer in der Türkei als illegal geltenden Organisation politisch betätigt habe, wird er bei seiner Rückkehr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit drastischen Maßnahmen weiter verfolgt werden.

Während die Regierung Erdogan sich launenhaft und äußerst widersprüchlich benimmt, sind die Strafforderungen der Staatsanwälte und die meisten Gerichtsurteile v.a. gegen politisch aktive Kurden durchgehend rückwärtsgewandt. In den vergangenen Jahren gab es im Vergleich in Bezug auf die Menschenrechte in der Türkei ruhigere und auch schwierigere Jahre. Das sagt leider nichts über eine kontinuierliche und beständige Verbesserung aus. An dem allgemeinen Tatbestand, dass v. a. politisch tätige Kurdinnen und Kurden unabhängig davon, ob und welcher Organisation sie angehören, in der Türkei verfolgt werden, hat sich nichts geändert. Kontinuierlich und dauerhaft ist es nicht abzusehen, dass die Kurden sogar die wenigen Rechte mit Aussicht auf Erfolg einklagen können, die ihnen versprochen und teilweise in Gesetzestexten garantiert sein sollen, geschweige denn gibt es irgend eine Garantie, dass sogar kleine Verbesserungen wie die Aufhebung des Verbotes, die kurdische Sprache zu sprechen, auch immer angewandt werden. Sobald sich die Lage durch äußere Umstände anspannt, kann es zu einer sofortigen und drastischen Verschlechterung kommen. Solche Zeiten könnten längst schon angebrochen sein, da durch die angespannte Lage in Syrien wieder Befürchtungen in der Türkei laut werden, dass die Kurden einen eigenen Staat gründen wollen. Dabei fokussieren sich die die Berichte auf die PKK in Syrien. Schon spricht man davon, dass Barzani (Präsident der Regionalregierung von Südkurdistan im Nordirak) bald Zugang zum Mittelmeer habe und mit der PKK paktiere.

Noch im Jahr des angeführten Lageberichts des Auswärtigen Amtes hat die New York Times jedenfalls die türkische Regierung bezichtigt, ein totalitäres Regime errichten zu wollen. Gerade die Antiterrorgesetze der Türkei, wegen derer Ilhami Han mit großer Wahrscheinlichkeit in der Türkei erneut angeklagt werden würde, gehören zu jenen Kernfragen der Menschenrechte, die die Europäische Kommission von jeher als eine der Haupthindernisgründe für den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union angesehen hat.

Es kann sein, dass sich die allgemeine Stimmung gegen Kurden in der Türkei etwas gelockert hat. Im Moment aber haben sie hauptsächlich dazu geführt, dass nun statt nur Kurden auch gelegentlich türkische Journalisten, Schriftsteller und Rechtsanwälte , u.a. eingesperrt werden, weil sie ihrem Job nachgehen oder demokratische Rechte beanspruchen. Keinesfalls sollte dieser allgemeine Eindruck dazu führen, dass man die tausenden von konkreten Fällen, von unfairen Strafprozessen und Mißhandlungen gegen Kurden, darunter auch sehr vielen Kindern und minderjährigen Jugendlichen, aus den Augen verliert.
Wir kennen sowohl menschlich als auch rechtlich ausgewogenere Urteile des Münchner Verwaltungsgerichtes und hoffen daher für Ilhami Han, dass sein Berufungsantrag angenommen wird. Allein schon deshalb, damit der Gesundheitszustand des an schweren epileptischen und posttraumatischen Anfällen leidende Ilhami, den die örtlichen Behörden jahrelang mit ihren Auflagen auf eine unverhältnismäßige und unangemessene Art und Weise mit ihren Auflagen drangsaliert haben, bessern kann. Mit einer angemessenen Behandlung seiner Epilepsie ist in einem türkischen Gefängnis jedenfalls nicht zu rechnen und dass man in ebendiesen Gefängnissen nicht Traumatas behandelt, die die Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden lieber zufügen, selbstredend auch nicht.
Inzwischen hat eine breit gefächerte Unterstützergruppe für Ilhami Han eine Kampagne für ihn gestartet.
Protest Kundgebung vor dem bayerischen Innenministerium am Odeonsplatz/München. Foto:ROZ/Rûdaw
Der Fall hat eine grundsätzliche Bedeutung, denn es geht hier um Grundsätze und Rechtsauffassungen, die auch für andere Fälle von Bedeutung sein werden.
Kurdische Gemeinde Bayern (V.i.G)

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